Die kleine SeejungfrauSeite 6 / 24
In mancher Abendstunde nahmen die fünf Schwestern einander in die Arme und stiegen in einer Reihe über das Wasser auf; herrliche Stimmen hatten sie, schöner als irgend ein Mensch, und wenn dann ein Sturm im Anzug war, sodaß sie vermuten konnten, daß Schiffe untergehen würden, schwammen sie vor den Schiffen her und sangen lieblich, wie schön es auf dem Grunde des Meeres sei, und baten die Seeleute, sich nicht zu fürchten, da hinunter zu kommen; aber diese konnten die Worte nicht verstehen, und glaubten, es sei der Sturm, und sie bekamen auch die Herrlichkeiten dort unten nicht zu sehen, denn wenn das Schiff sank, ertranken die Menschen und kamen als Leichen zu des Meerkönigs Schloß.
Wenn die Schwestern so des Abends, Arm in Arm, hoch durch das Wasser hinauf stiegen, dann stand die kleine Schwester ganz allein, und sah ihnen nach, und es war ihr, als ob sie weinen müßte, aber die Seejungfrau hat keine Thränen, und darum leidet sie weit mehr.
»Ach, wäre ich doch fünfzehn Jahre alt!« sagte sie. »Ich weiß, daß ich die Welt dort oben und die Menschen, die darauf wohnen, recht lieben werde.«
Endlich war sie fünfzehn Jahre alt.
»Sieh, nun bist Du erwachsen!« sagte die Großmutter, die alte Königin-Witwe. »Komm, nun laß mich Dich schmücken, gleich Deinen andern Schwestern!« Und sie setzte ihr einen Kranz weißer Lilien auf das Haar, aber jedes Blatt in der Blume war die Hälfte einer Perle; und die Alte ließ acht große Austern sich im Schwanze der Prinzessin festklemmen, um ihren hohen Rang zu zeigen.
»Das thut weh!« sagte die kleine Seejungfrau.
»Ja, Hoffart muß Zwang leiden!« sagte die Alte.
O, sie hätte gern alle diese Pracht abschütteln und den schweren Kranz ablegen mögen, ihre roten Blumen im Garten kleideten sie besser, aber sie konnte es nun nicht ändern. »Lebt wohl!« sprach sie, und stieg leicht und klar, gleich einer Blase, durch das Wasser auf.