Die NachtigallSeite 7 / 10
Die wirkliche Nachtigall ward aus dem Lande und Reiche verwiesen.
Der Kunstvogel hatte seinen Platz auf einem seidenen Kissen dicht bei des Kaisers Bett; alle Geschenke, die er erhalten, Gold und Edelsteine, lagen rings um ihn her, und im Titel war er zu einem 'Hochkaiserlichen Nachttischsänger' gestiegen, im Range Numero eins zur linken Seite, denn der Kaiser rechnete die Seite für die vornehmste, auf der das Herz saß, und das Herz sitzt auch bei einem Kaiser links. Und der Spielmeister schrieb ein Werk von fünfundzwanzig Bänden über den Kunstvogel; das war so gelehrt und lang, voll von den allerschwersten chinesischen Wörtern, daß alle Leute sagten, sie haben es gelesen und verstanden, denn sonst wären sie ja dumm gewesen und auf den Leib getrampelt worden.
So ging es ein ganzes Jahr; der Kaiser, der Hof und alle die übrigen Chinesen konnten jeden kleinen Kluck in des Kunstvogels Gesang auswendig, aber gerade deshalb gefiel er ihnen jetzt am allerbesten; sie konnten selbst mitsingen, und das taten sie. Die Straßenbuben sangen »Ziziiz! Kluckkluckkluck!« und der Kaiser sang es. Ja, das war gewiß prächtig!
Aber eines Abends, als der Kunstvogel am besten sang und der Kaiser im Bette lag und darauf hörte, sagte es »Schwupp« inwendig im Vogel; da sprang etwas. »Schnurrrr!« Alle Räder liefen herum, und dann stand die Musik still.
Der Kaiser sprang gleich aus dem Bette und ließ seinen Leibarzt rufen. Aber was konnte der helfen? Dann ließen sie den Uhrmacher holen, und nach vielem Sprechen und Nachsehen brachte er den Vogel etwas in Ordnung, aber er sagte, daß er sehr geschont werden müsse, denn die Zapfen seien abgenutzt, und es sei unmöglich, neue so einzusetzen, daß die Musik sicher gehe. Das war nun eine große Trauer! Nur einmal des Jahres durfte man den Kunstvogel singen lassen, und das war fast schon zuviel, aber dann hielt der Spielmeister eine kleine Rede mit schweren Worten und sagte, daß es ebensogut wie früher sei, und dann war es ebensogut wie früher.