Die wilden SchwäneSeite 13 / 16
Auf dem Kirchhof, das wußte sie, wuchsen Nesseln, die sie brauchen konnte; aber die mußte sie selber pflücken. Wie sollte sie da hinaus gelangen!
“Oh, was ist der Schmerz in meinen Fingern gegen die Qual, die mein Herz erduldet!” dachte sie. “Ich muß es wagen! Der Herr wird seine Hand nicht von mir nehmen!” Mit einer Herzensangst, als sei es eine böse Tat, die sie vorhabe, schlich sie sich in der mondhellen Nacht in den Garten hinunter und ging durch die Alleen und durch die einsamen Straßen zum Kirchhof hinaus. Da sah sie auf einem der breitesten Grabsteine einen Kreis Lamien sitzen. Diese häßlichen Hexen nahmen ihre Lumpen ab, als ob sie sich baden wollten, und dann gruben sie mit den langen, mageren Fingern die frischen Gräber auf, holten Leichen heraus und aßen ihr Fleisch. Elisa mußte nahe an ihnen vorbei, und sie hefteten ihre bösen Blicke auf sie; aber sie betete still, sammelte die brennenden Nesseln und trug sie zu dem Schlosse heim.
Nur ein einziger Mensch hatte sie gesehen: der Erzbischof. Er war munter, wenn die andern schliefen. Nun hatte er doch recht mit seiner Meinung, daß es mit der Königin nicht sei, wie es sein sollte; sie sei eine Hexe, deshalb habe sie den König und das ganze Volk betört.
Im Beichtstuhl sagte er dem König, was er gesehen hatte und was er fürchtete. Und als die harten Worte seiner Zunge entströmten, schüttelten die Heiligenbilder die Köpfe, als wenn sie sagten wollten: “Es ist nicht so! Elisa ist unschuldig!” Aber der Erzbischof legte es anders aus, er meinte, daß sie gegen sie zeugten, daß sie über ihre Sünden die Köpfe schüttelten. Da rollten zwei schwere Tränen über des Königs Wangen herab. Er ging nach Hause mit Zweifel in seinem Herzen und stellte sich, als ob er in der Nacht schlafe. Aber es kam kein ruhiger Schlaf in seine Augen, er merkte, wie Elisa aufstand. Jede Nacht wiederholte sie dieses, und jedesmal folgte er ihr sacht nach und sah, wie sie in ihrer Kammer verschwand.