Das RotkäppchenSeite 2 / 5
»O ja, recht weit, hinter dem Walde, an der Mühle vorbei, im ersten Hause vor dem Dorfe.«
»Nun, da sie krank ist«, sagte der Wolf und legte fromm die beiden Vordertatzen ineinander, »nun, da sie krank ist, will ich sie auch besuchen. Ich mache gerne Krankenbesuche, tröste die Leidenden und spreche ihnen von Gottes Wort. Gehe du nur geradeaus, liebes Rotkäppchen, sieh nicht rechts, nicht links und lasse dich durch niemand vom geraden Weg ablocken. Ich will nur noch einen Krankenbesuch machen, dann komme ich dir nach.«
Der gute Wolf, dachte Rotkäppchen, er spricht gerade wie meine Mutter. Aber wieviel muß er zu tun haben, wenn er alle Leidenden trösten will. Es gibt doch recht gute Seelen! Und wie er sich beeilt, um Gutes zu tun! Läuft er doch, als könnte er es nicht erwarten. Während sie so dachte, lief der Wolf in der Tat, was er laufen konnte, aber nur um Rotkäppchen einen Vorsprung abzugewinnen und vor ihr bei der Großmutter anzukommen.
Rotkäppchen sah viele schöne Blumen im Walde stehen, die pflückte sie und steckte sie in die Butter und in die Kuchen. Dann wand sie Kränzchen und schlang sie um die Flasche, um alles recht schön aufzuputzen. Dann guckte sie manchem Vöglein ins Nest und wunderte sich, wie die Jungen die gelben Schnäbel so weit aufmachten. Sie brach kleine Kuchenstücke ab und steckte sie ihnen hinein.
So, dachte sie, tue ich auch etwas Gutes, denn die Vöglein sind gewiß hungrig. Wein darf ich ihnen nicht geben, ich bekomme ja auch keinen, denn er ist nicht für die Jugend.
Der Wolf hatte indessen seine Zeit nicht verloren mit Blumenpflücken, Kränzleinwinden, Nestleingucken – denn die Bosheit eilt, als ging's ins Paradies – und war vor dem Hause der Großmutter angekommen und klopfte an die Türe: Top! Top!
»Wer ist draußen?« fragte die Großmutter mit ihrer schwachen Stimme.