DornröschenSeite 2 / 10
Gleich nach Tische gingen die Feen, die wußten, wozu sie geladen waren, an ihr Geschäft und fingen an, die Prinzessin zu beschenken, und zwar mit allen jenen Eigenschaften, die eine Mutter vor allem ihrem Töchterlein anwünscht, damit es sobald wie möglich den Leuten in die Augen falle und eine gute Partie mache. Die erste Fee sagte: »Werde die schönste Person der Welt!«
Die zweite: »Sei so geistreich wie möglich, ohne unausstehlich zu werden!«
Die dritte: »Was du tust und wie du's tust, soll Mode werden!«
Die vierte: »Alle neuen Tänze sollst du gleich so vortrefflich tanzen, als hättest du nie etwas anderes gelernt, und niemals sollst du sitzenbleiben!«
Die fünfte: »Singe wie eine Nachtigall!«
Die sechste: »Spiele ausgezeichnet Klavier, zweihändig, vierhändig, sechshändig, achthändig, selbst einhändig!«
Jetzt war die Reihe an der alten Fee, und ganz ärgerlich darüber, daß es ein so junges und perfektes Frauenzimmer geben solle, rief sie: »Die Prinzessin soll sich in ihrem fünfzehnten Jahre an einer Spindel stechen und tot hinfallen.«
Diese schreckliche Bescherung erfüllte die ganze Gesellschaft mit Entsetzen, und alles fing zu weinen und zu jammern an.
»Nur ruhig, nur ruhig!« rief die junge Fee, die plötzlich hinter dem Vorhang hervortrat, »beruhigt Euch, Herr König und Ihr, Frau Königin, ich habe auch noch etwas zu sagen, denn es ist nicht meine Art, der Alten das letzte Wort zu lassen. Zwar kann man das Übel, das alte Weiber mit bösen Worten anrichten, nicht immer ungeschehen machen, aber lindern und mindern kann es manchmal eine gute Fee. Und so soll die Königstochter nicht sterben an dem Spindelstich, sondern nur in einen tiefen, hundert Jahre dauernden Schlaf versinken. Nach diesen hundert Jahren wird sie ein wunderschöner Königssohn erlösen und aus dem Schlafe wecken.«