DornröschenSeite 5 / 10
Endlich kam er an ein prächtiges Tor und durch das Tor in einen Hof, dann in einen zweiten Hof, dann an eine große Treppe. Die stieg er hinauf und gelangte in einen Vorsaal, dann in einen Prachtsaal, dann in einen zweiten, dritten, vierten Saal, einer immer schöner als der andere. Überall auf seinem Wege, vom Tor angefangen, standen, saßen, lagen oder befanden sich in den verschiedensten Stellungen des Gehens, Laufens und allerlei Handelns wie gefroren Türsteher, Wachen, Bediente, Hofleute jeglicher Art, zu Fuß, auch zu Roß, alles schlafend. Der Königssohn kümmerte sich nicht um die Menge, ebensowenig ließ er sich durch die unheimliche Stille, die rings um ihn herrschte, anfechten, obwohl manches gar kurios und schön anzusehen gewesen wäre: wie der Page so schön an dem Türpfosten lehnte oder wie der Efeu sich um das Waldhorn des Jägerburschen geschlungen hatte, wie der Springbrunnen, als wäre er aus Kristall, steif und fest in der Luft stand und andere dergleichen Wunder.
Ihn trieb es weiter, und aus den Sälen kam er in die Gemächer, in eine lange Reihe von Gemächern, alle mit Gold, Seide, Zindel, Schnitzwerk, Bildern und allen schönen Dingen geschmückt – etwas altmodisch, aber recht malerisch und höchst interessant. Er hätte mit einiger Geduld in diesen Gemächern allerlei lernen können, aber er hatte etwas Besseres zu tun, als altes Zeug zu studieren. Er wollte die Schönheit sehen mit Augen. So wanderte er weiter, bis er in eine vergoldete Schlafkammer trat, und da bot sich ihm ein Schauspiel dar, wie er dergleichen nie gesehen.
In einem Bett, dessen Vorhänge ganz zurückgezogen waren, lag Dornröschen, frisch und gesund und schön wie Milch und Rosen. Es ging ordentlich ein Glanz von ihr aus, der das ganze Zimmer mit Licht erfüllte. Ihre Brust hob sich sanft, wie in leisem Schlummer, ihre Lippen lächelten und bewegten sich, als wollte sie etwas recht Angenehmes sagen.