DornröschenSeite 8 / 10
Bald darauf mußte der König in den Krieg, und er übergab für die Zeit seiner Abwesenheit die Regentschaft der Königinmutter, indem er ihr zugleich sein Weib und seine Kinder besonders ans Herz legte. Sie versprach alles Gute. Aber kaum war der König abgezogen, als sie schon Dornröschen mit ihren Kindern aufs Land schickte, in ein Landhaus, das mitten im düstern, düstern Walde lag. Dort dachte sie ihre böse Lust auf leichtere und unentdeckte Weise büßen zu können.
Nach einigen Tagen folgte sie, und eines Abends sagte sie zu ihrem Haushofmeister: »Morgen zu Mittag will ich die kleine Morgenröte verspeisen!«
»Ach, Majestät!« schrie der Haushofmeister erschrocken.
»Ich will es! Ich geruhe es!« rief die Königin in einem Menschenfresserton, der zugleich besagte: und daß die Sauce ja recht gut sei!
Der arme Mann sah ein, daß hier nicht zu spaßen war, nahm sein großes Messer und stieg hinauf in das Zimmer der kleinen Morgenröte. Das gute Kind war eben vier Jahre alt, sprang und lachte und warf sich lachend an seinen Hals und fragte ihn, ob er Zuckerwerk mitbringe. Er fing zu weinen an, ließ das Messer fallen und lief in den Hof und schnitt einem kleinen Schäflein den Hals ab, und machte eine so gute Sauce dazu, daß die Königin versicherte, ihr Lebtag nichts Besseres gegessen zu haben. Die kleine Morgenröte trug er in seine Wohnung im Hinterhofe und übergab sie seiner Frau, daß sie sie gut verstecken möge.
Nach acht Tagen sagte die böse Königin wieder: »Heute abend will ich den kleinen hellen Tag verspeisen!«
Diesmal erwiderte der Haushofmeister nichts, er dachte sich nur: Wart, dich betrüge ich wie das erstemal.
Er holte den kleinen hellen Tag, der erst drei Jahre alt war und der eben mit einem Gewehr in der Hand Soldaten spielte und einen alten Affen einexerzierte, trug ihn zu seiner Frau, die ihn mit der kleinen Morgenröte versteckte, und setzte der Ogerin anstatt des hellen Tages ein sehr zartes, gut zubereitetes junges Böcklein vor, das sie überaus wohlschmeckend fand.