DornröschenSeite 10 / 10
Eines Abends, da sie wie gewöhnlich im Hofe herumschnüffelte nach frischem Fleische, hörte sie mit einem Male aus einem unterirdischen Gemache die Stimme des kleinen hellen Tag, der da weinte, weil ihn die Mutter züchtigen wollte, und die Stimme der kleinen Morgenröte, die für ihr Brüderchen um Verzeihung bat. Die Ogerin erkannte die Stimmen der Königin und ihrer Kinder, und wütend, auf diese Weise hinters Licht geführt und in ihren höchsten Freuden beeinträchtigt worden zu sein, schwur sie, sich aufs furchtbarste zu rächen. Und schon am nächsten Morgen befahl sie, daß man eine große Tonne in den Hof bringe und sie mit Kröten, Vipern, Nattern und Schlangen aller Art anfülle und die junge Königin und ihre Kinder und den Haushofmeister und dessen Frau und Magd hineinwerfe.
Sie alle wurden, die Hände auf dem Rücken zusammengebunden, herbeigeführt.
Und da standen sie, und die Henker machten sich eben bereit, sie zu packen und in die Tonne zu werfen, als mit einem Male der König in den Hof sprengte.
»Was geht hier vor?« rief er beim Anblick dieses höchst sonderbaren Schauspiels.
Aber kein Mensch hatte den Mut, ihm die Wahrheit zu sagen, und die alte Königin, entrüstet, sich im entscheidenden Augenblick so gestört zu sehen, stürzte sich nun selbst in die Tonne, wo sie alsbald von den scheußlichen Tieren aufgefressen wurde und ihren wohlverdienten Lohn erhielt.
Der König aber war sehr glücklich mit seiner schönen Frau und seinen womöglich noch schöneren Kindern, die er nimmer verließ.