Riquet mit dem SchopfSeite 1 / 7
Riquet, der Königssohn, kam so häßlich und schlecht gebaut zur Welt, daß die Hofdamen, die sich mit dem bekannten: »Oh, das prächtige Kind!« oder: »Oh, das liebe Kind!« auf den Lippen der Wiege näherten, plötzlich verstummten und mit einem verlegenen Lächeln davonschlichen, um draußen vor der Türe, von der hohen Wöchnerin ungesehen, die Hände über dem Kopf zusammenzuschlagen. Was ihn neben seiner Häßlichkeit noch auszeichnete, war ein Haarschopf über der Stirne, den er fix und fertig mit in die Welt brachte, weshalb man ihn auch Riquet mit dem Schopf nannte.
Die Königin war über die Häßlichkeit ihres Sohnes in Verzweiflung, aber die Fee, die ihr in der schweren Stunde Beistand leistete, tröstete sie und versicherte, daß der häßliche Junge nichtsdestoweniger einen liebenswürdigen Kavalier ausmachen werde, von wegen des vielen Geistes, den er haben werde. Und sofort beschenkte sie ihn auch mit der Fähigkeit, der Person, die er dermaleinst lieben werde, so viel Geist leihen zu können, als er selbst haben werde, ohne darum dümmer zu werden. Denn der Geist ist wie ein Licht, an dem sich viele hundert Lichter entzünden können, ohne daß darum das erste an Leuchtkraft verlöre.
Dieses tröstete die königliche Mutter ein wenig, und ganz beruhigte sie sich, als der kleine häßliche Prinz in der Tat bald die schönsten Zeichen von Geist und Verstand an den Tag legte. Er sagte so viele schöne Sachen, und er tat alles, was er tat, mit so viel Anmut und Geschick, daß man bei Hof und in der Stadt von nichts anderem zu erzählen wußte. Alle Welt war von ihm entzückt, und den Schopf über seiner Stirn erklärte man damit, daß so viel Geist in seinem Kopfe allein nicht Platz genug gehabt hätte und daß ihm daher die Natur den Schopf als eine besondere Vorratskammer beigegeben.
Als er ungefähr sieben bis acht Jahre alt war, setzte die Königin eines benachbarten Reiches zwei kleine Prinzeßlein auf einmal in die Welt. Diejenige, welche zuerst das Tageslicht erblickte, war so schön, so schön, daß die Königin vor Freude darüber beinahe den Verstand verloren hätte. Um der allzu großen Freude, die ihr hätte schaden können, einen Dämpfer aufzusetzen, versicherte die Fee, die ihr Beistand leistete – dieselbe, die bei der Geburt Riquets mit dem Schopf zugegen gewesen –, daß dafür gesorgt sei, daß die Bäume nicht in den Himmel wachsen und daß die Prinzessin ebenso dumm als schön sein werde. Die Königin hatte kaum Zeit, sich von dem Schrecken, den ihr diese Worte der Fee einflößten, zu erholen, als sie schon einen zweiten, weit ärgeren erleben sollte, denn die zweite Prinzessin, die jetzt zum Vorschein kam, war ein Ausbund von Häßlichkeit.