Riquet mit dem SchopfSeite 2 / 7
Die Königin war so verzweifelt wie jene andere, als sie Riquet mit dem Schöpf gebar, und jammerte gewaltig.
»Euer Majestät können sich doch trösten«, meinte die Fee, »denn die Prinzessin wird so viel Verstand haben, daß man darüber ihre Häßlichkeit vergessen wird.«
»Gott gebe es«, seufzte die Königin, »aber könnte man nicht etwas tun, damit die andere, die so schön ist, auch ein klein wenig davon bekäme?«
»In dieser Beziehung«, versicherte die Fee, »bin ich ohnmächtig. Meine Macht erstreckt sich nur auf die Schönheit. Um Euer Majestät zu zeigen, daß ich mein möglichstes leisten will, beschenke ich die schöne Prinzessin mit der Kraft, eine beliebige Person mit Schönheit auszustatten.«
Wie nun die beiden Prinzessinnen heranwuchsen, wuchsen auch ihre guten Eigenschaften mit ihnen, und man sprach überall von der Schönheit der älteren und vom Verstande der jüngeren. Aber freilich wuchsen auch ihre Fehler mit den Jahren. Die jüngere wurde zusehends häßlicher, die ältere von Tag zu Tag dümmer. Sie wußte entweder gar nichts zu sagen, oder sie sagte eine Dummheit. Sie konnte nichts in die Hand nehmen, ohne es zu zerbrechen, sie trank kein Glas Wasser, ohne sich zu begießen, und von lernen war gar nicht die Rede. Schönheit besitzt gewiß eine große Anziehungskraft, trotzdem war die jüngere in jeder Gesellschaft immer obenauf. Anfangs sammelte man sich um die ältere, um sie anzusehen und ihre Schönheit zu bewundern, bald aber wandte man sich der jüngeren zu, um ihr zuzuhören, da sie stets ganze Feuerwerke von Witz losließ, und nach einer Viertelstunde war die Schöne allein, während sich alles um die Häßliche drängte. Die Dumme merkte das trotz aller Dummheit und hätte gern ihre ganze Schönheit für den halben Geist ihrer Schwester hingegeben. Die Frau Mutter war selbst dumm genug, ihr ihrer Dummheit wegen Vorwürfe zu machen, was der armen Prinzessin den größten Kummer verursachte.