Die kleine SeejungfrauSeite 18 / 24
Zu Hause in des Prinzen Schloß, wenn nachts die andern schliefen, ging sie auf die breite Marmortreppe hinaus, und es kühlte ihre brennenden Füße, im kalten Seewasser zu stehen, und dann gedachte sie derer dort unten in der Tiefe.
Einmal nachts kamen ihre Schwestern Arm in Arm, sie sangen sehr traurig, indem sie über dem Wasser schwammen, und sie winkte ihnen, und sie erkannten sie und erzählten, wie sie sie allesamt betrübt habe. Darauf besuchten sie dieselbe in jeder Nacht, und einst erblickte sie auch in weiter Ferne ihre alte Großmutter, die in vielen Jahren nicht über der Meeresfläche gewesen war, und den Seekönig, mit seiner Krone auf dem Haupte; sie streckten beide die Hände gegen sie aus, wagten sich aber dem Lande nicht so nahe, als die Schwestern.
Tag für Tag wurde sie dem Prinzen lieber, er hatte sie so lieb, wie man nur ein gutes, liebes Kind lieben kann, aber sie zur Königin zu machen, kam ihm nicht in den Sinn, und seine Frau mußte sie doch werden, sonst erhielt sie keine unsterbliche Seele, und mußte an seinem Hochzeitsmorgen zu Schaum auf dem Meere werden.
»Liebst Du mich nicht am meisten von ihnen allen?« schienen der kleinen Seejungfrau Augen zu sagen, wenn er sie in seine Arme nahm und ihre schöne Stirne küßte.
»Ja, Du bist mir die liebste,« sagte der Prinz, »denn Du hast das beste Herz von allen, Du bist mir am meisten ergeben, und Du gleichst einem jungen Mädchen, die ich einmal sah, aber sicher nie wieder finde. Ich war auf einem Schiffe, welches strandete, die Wellen warfen mich bei einem Tempel an das Land, wo mehrere junge Mädchen den Dienst verrichteten; die jüngste dort fand mich am Ufer und rettete mein Leben; ich sah sie nur zweimal; sie wäre die einzige, die ich in dieser Welt lieben könnte, aber Du gleichst ihr, Du verdrängst fast ihr Bild aus meiner Seele, sie gehört dem heiligen Tempel an, und deshalb hat mein gutes Glück Dich mir gesendet, nie wollen wir uns trennen!« – »Ach, er weiß nicht, daß ich sein Leben gerettet habe!« dachte die kleine Seejungfrau. »Ich trug ihn über das Meer zum Walde hin, wo der Tempel steht, ich saß hinter dem Schaume und sah, ob keine Menschen kommen würden. Ich sah das hübsche Mädchen, das er mehr liebt, als mich!« Und die Seejungfrau seufzte tief, weinen konnte sie nicht. »Das Mädchen gehört dem heiligen Tempel an, hat er gesagt, sie kommt nie in die Welt hinaus, sie begegnen sich nicht mehr, ich bin bei ihm, sehe ihn jeden Tag, ich will ihn pflegen, lieben, ihm mein Leben opfern!«