Feder und TintenfaßSeite 2 / 3
"Da haben Sie recht", sagte die Feder, "denken tun Sie gar nichts, denn wenn Sie es täten, würden Sie auch begreifen, daß Sie nur die Flüssigkeit hergeben. Sie geben das Flüssige, damit ich auf dem Papier das, was mir innewohnt, das, was ich schreibe, zur Anschauung bringen kann. Die Feder ist es, die schreibt! Daran zweifelt kein Mensch, und die meisten Menschen haben nur ebensoviel Ahnung von der Poesie wie ein altes Tintenfaß."
"Sie haben nur wenig Erfahrung", antwortete das Tintenfaß; Sie sind ja kaum eine Woche im Dienst – und schon halb abgenutzt. Bilden Sie sich ein, Sie wären der Dichter? Sie sind nur ein Dienstbote, und ehe Sie kamen, habe ich viele von der Art gehabt, sowohl aus der Gänsefamilie wie aus englischem Fabrikat, ich kenne so gut den Federkiel wie die Stahlfeder. Viele habe ich im Dienst gehabt, und ich werde noch viele bekommen, wenn erst der Mensch kommt, der für mich die Bewegung macht und niederschreibt, was er aus meinem Innern herausbekommt. Ich möchte wohl wissen, was er jetzt zuerst aus mir herausheben wird!" "Tintentopf!" sagte die Feder.
Spät am Abend kam der Dichter nach Hause, er war in einem Konzert gewesen, hatte einen ausgezeichneten Violinspieler gehört und war ganz erfüllt und entzückt von dessen herrlichem Spiel. Einen erstaunlichen Schwall von Tönen hatte der Spieler dem Instrument entlockt: bald hatte es wie klingende Wassertropfen, wie rollende Perlen getönt, bald wie zwitschernde Vögel im Chor, dann wieder war es dahingebraust wie der Wind durch Tannenwälder; er meinte sein eigenes Herz weinen zu hören, aber in Melodien, wie sie in der Stimme einer Frau ertönen können, als hätten nicht allein die Saiten der Violine, sondern auch der Steg, ja selbst die Schrauben und der Resonanzboden geklungen! Es war außerordentlich gewesen! Und schwer war es auch gewesen, hatte aber ausgesehen wie eine Spielerei, als fahre der Bogen nur so über die Saiten hin und her, man hätte glauben können, jeder könne das nachmachen. Die Violine klang von selbst, der Bogen spielte von selbst, die beiden waren es, die das Ganze taten, man vergaß den Meister, der sie führte, ihnen Leben und Seele einhauchte; den Meister vergaß man; aber seiner erinnerte sich der Dichter, er nannte ihn und schrieb seine Gedanken dabei nieder: