Nußknacker und Mausekönig - 6 Die KrankheitSeite 2 / 4
Da warf ich meinen Schuh unter die Mäuse und dann weiß ich weiter nicht was vorgegangen." Der Chirurgus Wendelstern winkte der Mutter mit den Augen und diese sprach sehr sanft zu Marien: "Laß es nur gut sein, mein liebes Kind! - beruhige dich, die Mäuse sind alle fort und Nußknackerchen steht gesund und lustig im Glasschrank." Nun trat der Medizinalrat ins Zimmer und sprach lange mit dem Chirurgus Wendelstern; dann fühlte er Mariens Puls und sie hörte wohl, daß von einem Wundfieber die Rede war. Sie mußte im Bette bleiben und Arzenei nehmen und so dauerte es einige Tage, wiewohl sie außer einigem Schmerz am Arm sich eben nicht krank und unbehaglich fühlte. Sie wußte, daß Nußknackerchen gesund aus der Schlacht sich gerettet hatte, und es kam ihr manchmal wie im Traume vor, daß er ganz vernehmlich, wiewohl mit sehr wehmütiger Stimme sprach: "Marie, teuerste Dame, Ihnen verdanke ich viel, doch noch mehr können Sie für mich tun!" Marie dachte vergebens darüber nach, was das wohl sein könnte, es fiel ihr durchaus nicht ein. Spielen konnte Marie gar nicht recht, wegen des wunden Arms, und wollte sie lesen, oder in den Bilderbüchern blättern, so flimmerte es ihr seltsam vor den Augen, und sie mußte davon ablassen. So mußte ihr nun wohl die Zeit recht herzlich lang werden, und sie konnte kaum die Dämmerung erwarten, weil dann die Mutter sich an ihr Bett setzte, und ihr sehr viel Schönes vorlas und erzählte. Eben hatte die Mutter die vorzügliche Geschichte vom Prinzen Fakardin vollendet, als die Türe aufging, und der Pate Droßelmeier mit den Worten hineintrat: "Nun muß ich doch wirklich einmal selbst sehen, wie es mit der kranken und wunden Marie zusteht." Sowie Marie den Paten Droßelmeier in seinem gelben Röckchen erblickte, kam ihr das Bild jener Nacht, als Nußknacker die Schlacht wider die Mäuse verlor, gar lebendig vor Augen, und unwillkürlich rief sie laut dem Obergerichtsrat entgegen: "O Pate Droßelmeier, du bist recht häßlich gewesen, ich habe dich wohl gesehen, wie du auf der Uhr saßest, und sie mit deinen Flügeln bedecktest, daß sie nicht laut schlagen sollte, weil sonst die Mäuse verscheucht worden wären - ich habe es wohl gehört, wie du dem Mausekönig riefest! - warum kamst du dem Nußknacker, warum kamst du mir nicht zu Hülfe, du häßlicher Pate Droßelmeier, bist du denn nicht allein schuld, daß ich verwundet und krank im Bette liegen muß?" - Die Mutter fragte ganz erschrocken: "Was ist dir denn, liebe Marie?" Aber der Pate Droßelmeier schnitt sehr seltsame Gesichter, und sprach mit schnarrender, eintöniger Stimme: "Perpendikel mußte schnurren - picken - wollte sich nicht schicken - Uhren - Uhren - Uhrenperpendikel müssen schnurren - leise schnurren - schlagen Glocken laut kling klang - Hink und Honk, und Honk und Hank - Puppenmädel sei nicht bang! - schlagen Glöcklein, ist geschlagen, Mausekönig fortzujagen, kommt die Eul im schnellen Flug - Pak und Pik, und Pik und Puk - Glöcklein bim bim - Uhren - schnurr schnurr - Perpendikel müssen schnurren - picken wollte sich nicht schicken - Schnarr und schnurr, und pirr und purr!" - Marie sah den Paten Droßelmeier starr mit großen Augen an, weil er ganz anders, und noch viel häßlicher aussah, als sonst, und mit dem rechten Arm hin und her schlug, als würd er gleich einer Drahtpuppe gezogen.