Der kleine DäumlingSeite 4 / 10
Als diese dahin waren, kehrte das alte Elend zurück, und Vater und Mutter beschlossen, die Kinder wieder in den Wald zu führen, und zwar viel weiter als das erste Mal, um ihrer Sache sicher zu sein. Der kleine Däumling, der auf seiner Hut war und die Alten beobachtete, hatte auch diesmal ihr Gespräch belauscht.
Gut, dachte er, jetzt weiß ich, wie man's macht. Aber er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht, denn als er gegen Morgen hinausschleichen wollte an den Bach, um wieder Steinchen zu sammeln, war die Türe geschlossen, und er konnte nicht hinaus. Gott verläßt die Seinen nicht, dachte er, es wird sich schon was finden.
Als sie dann in den Wald zogen und die Mutter jedem noch ein Stück Brot in die Tasche steckte, dachte er: Siehst du wohl, da hast du das Brot. Waren es früher die Kieselsteine, so sind es jetzt die Brosämlein. Freilich würde ich sie lieber verschlucken, aber was ist zu machen? Man muß sich strecken nach der Decken. Diesmal ging's viel, viel tiefer in den Wald, an eine Stelle, wo es dicht und dunkel war, ganz, ganz dicht, ganz, ganz dunkel. Die Alten machten sich wieder eine Ausrede, krochen ins Gebüsch, und fort waren sie. Da ging wieder das Gewein und Geschrei los, und dabei sahen alle den kleinen Däumling an.
Er war ruhig, legte die Hände auf den Rücken und sagte nur: »Vorwärts!« wie einer, der seiner Sache ganz sicher ist. Aber Hochmut kommt vor dem Fall. Die Brosamen, so er auf den Weg gestreut, hatten die Vögel aufgepickt. Keine Spur war mehr da, und nun war guter Rat teuer. Dennoch gingen sie darauf los, aber je weiter sie gingen, desto mehr verirrten sie sich, und desto tiefer kamen sie in dichten, tiefen, düstern Wald.
Es regnete, und der Wind heulte, und sie glaubten, es wären die Wölfe, die so heulten, und hatten große Angst – besonders als es Nacht wurde, stockdunkle, pechrabenschwarze, mutterseelenalleinige Nacht. Sie wußten nicht, wo aus, wo ein. Der kleine Däumling – immer der kleine Däumling voran, denn sein Grundsatz war: Selbst ist der Mann! – kletterte einen hohen, dicken Baum hinan, der alle andern Bäume des Waldes überragte, und blickte nach allen Seiten aus. Nach drei Seiten sah er gar nichts, aber von der vierten Seite her kam ihm aus der Tiefe, durch Gebüsch, aber noch aus weiter Ferne, ein Lichtschimmer entgegen. Gut, dachte er, durch Nacht zum Licht! und ließ sich wieder vom Baume heruntergleiten zu den Brüdern, die alle unten standen und hinaufsahen. Aber unten angekommen, war's wieder nichts, denn das Licht war verschwunden. Doch hatte er sich die Richtung gemerkt und wanderte nach jener Seite – bergauf, bergab. Das Licht tauchte auf und verschwand wie ein Irrlicht. Sich nur nicht irremachen lassen! dachte der Däumling, und die andern stelzten hinter ihm her. So gelangten sie endlich an das Haus, aus dem das Lichtlein gekommen war, und riefen und pochten.