Die wilden SchwäneSeite 5 / 16
Die Nacht wurde ganz dunkel. Nicht ein einziger kleiner Johanniswurm leuchtete aus dem Moos. Betrübt legte sie sich nieder, um zu schlafen. Da schien es ihr, als ob die Baumzweige über ihr sich zur Seite bewegten und der liebe Gott mit milden Augen auf sie niederblickte, und kleine Engel sahen über seinem Kopf und unter seinen Armen hervor.
Als sie am Morgen erwachte, wußte sie nicht, ob sie es geträumt hatte oder ob es wirklich so gewesen.
Sie ging einige Schritte vorwärts, da begegneten sie einer alten Frau mit Beeren in ihrem Korb. Die Alte gab ihr einige davon. Elisa frage, ob sie nicht elf Prinzen durch den Wald habe reiten sehen.
“Nein!” sagte die Alte; “aber ich sah gestern elf Schwäne mit Goldkronen auf dem Haupt den Fluß hier nahebei hinabschwimmen!”
Und sie führte Elisa ein Stück weiter vor zu einem Abhang. Am Fuße desselben schlängelte sich ein Flüßchen. Die Bäume an seinen Ufern streckten ihre langen, blattreichen Zweige einander entgegen, und wo sie ihrem natürlichen Wuchse nach, nicht zusammenreichen konnten, da waren die Wurzel aus der Erde losgerissen und hingen, mit den Zweigen ineinander geflochten, über das Wasser hinaus.
Elisa sagte der Alten Lebewohl und ging das Flüßchen entlang, bis wo dieses ins große, offene Meer hinausfloß.
Das ganze herrliche Meer lag vor dem jungen Mädchen, aber nicht ein Segel zeigte sich darauf, nicht ein Boot war da zu sehen. Wie sollte sie nun dort weiter fort kommen? Sie betrachtete die unzähligen kleinen Steine am Ufer, das Wasser hatte sie alle rund geschliffen. Glas, Eisen, Seine, alles, was da zusammengespült lag, hatte seine Form durch das Wasser bekommen, welches doch viel weicher war als ihre feine Hand. “Das rollt unermüdlich fort, und so ebnet sich das Harte. Ich will ebenso unermüdlich sein. Dank für eure Lehre, ihr klaren, rollenden Wogen; einst, das sagte mir mein Herz, werdet ihr mich zu meinen lieben Brüdern tragen!”
Auf dem angespülten Seegras lagen elf weiße Schwanenfedern! Sie sammelte sie zu einem Strauß. Es lagen Wassertropfen darauf — ob es Tau oder Tränen waren, konnte man nicht sehen. Einsam war es dort am Strand, aber sie fühlte es nicht, denn das Meer bot eine dauernde Abwechslung, ja mehr in nur wenigen Stunden, als die Landseen in einem ganzen Jahr aufweisen können. Kam eine große, schwarze Wolke, so war das, als ob die See sagen wollte: “Ich kann auch finster aussehen.” Und dann blies der Wind, und die Wogen kehrten das Weiße nach außen. Schienen aber die Wolken rot und schliefen die Winde, so war das Meer einem Rosenblatt gleich; bald wurde es grün, bald weiß. Aber wie still es auch ruhte, am Ufer war doch eine leise Bewegung, das Wasser hob sich schwach wie die Brust eines schlafenden Kindes.